Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung Freitag, 25.06.1897
Ein Giftmordprozeß (Bericht für das Berliner Tageblatt)
S. u. H. Frankfurt a.d.O., 25. Juni
Eine geheimnisvolle Giftmordaffäre, die heute hier vor dem Schwurgericht zur Verhandlung gelangt, erregt in den hiesigen Kreisen großes Aufsehen. Die Anklage richtet sich gegen eine vermögende Berlinerin, die Ehefrau Emma Helen Pfeiffer geb. Zimmermann, in Berlin, Wassergasse wohnhaft, die im Verdacht steht 1. Im Jahre 1892die Tante ihres Ehemannes, Katharina Pfeiffer, durch Arsenik getödtet zu haben; 2. Gegen die Besitzersfrau Strache in Graben bei Ortwig am 12 November 1895 den Versuch unternommen zu haben, dieselbe durch Gift zu tödten.
Die am 21. Juli 1865 in Letschin geborene Angeklagte ist seit dem 20. Oktober 1891 mit dem Pianofortefabrikanten Pfeiffer in Berlin verhelicht, welcher Ehe mehrere Kinder entsprossen sind. Am 12 Mai 1895 erschien die Angeklagte mit ihrer Schwester, der Besitzersfrau Elise Mielenz aus Letschin und mit ihrem vierjährigen Söhnchen auf dem Gehöft des Viehhändlers Strache in Graben, um Geldangelegenheiten zu besprechen. Ihr Schwager Mielenz hatte für Strache eine Bürgschaft von 9500 Mark übernommen und schließlich den betrag zahlen müssen, so daß er selbst in Zahlungsschwierigkeiten gerieth. Mielenz wandte sich infolge dessen an seinen reichen Schwager Pfeiffer in Berlin wegen eines größeren Darlehens, und dieser beauftragte auch seine Frau, demselben 1000 Mark zu überbringen, sich zuvor aber nach dessen Vermögensverhältnissen zu erkundigen, namentlich festzustellen, ob ein Darlehen ihm noch aushelfen könne. Die beiden Frauen trafen Strache nicht zu Hause. Sie kamen dagegen mit Frau Strache auf die Geldangelegenheit zu sprechen, und es entwickelte sich zwischen den Frauen ein heftiger Disput, bei welchem spitze Redensarten hin- und hergingen. Schließlich ließ man sich aber am Kaffeetisch nieder. Nun wußte die Pfeiffer unter verschiedenen Vorwänden Frau Strache und das Dienstmädchen mehrmals aus dem Zimmer zu entfernen. Letzteres sah, als sie zurückkehrte, wie die Pfeiffer den Kaffee selbst eingoß, sie will auch bemerkt haben, daß dieselbe bei ihrem Eintritt heftig zusammenschrak und sehr blaß und erregt aussah.
Frau Strache nahm sofort an ihrem Kaffee einen süßlichen, widerlichen Geschmack wahr. Als sie das äußerte, sagten ihr die beiden Frauen: „Thun Sie nur ordentlich Zucker ‘ran, dann wird der Kaffee schon schmecken.“ Sie selbst verfuhren mit dem ihrigen dem entsprechend, Frau Strache vermochte aber nur zwei Schluck von dem Kaffee zu genießen .Der Besuch fuhr bald ab, beim Weggehen soll die Pfeiffer die Worte haben fallen lassen: „Strache wird sich nicht mehr lange freuen.“ Bei Frau Strache zeigten sich nach kurzer Zeit eigenthümliche Übelkeitserscheinungen: heftige Kopfschmerzen, Schwindel, wiederholtes heftiges Erbrechen, blutiger Durchfall, so daß sie sich niederlegen mußte. Ihr Zustand verschlimmerte sich in den folgenden Tagen in bedenklicher Weise.
Der am dritten Tag hinzugezogene Arzt Dr. Hofmann aus Letschin fand Geschwüre an der Zunge und dem Zahnfleisch und konstatirte gemeinsam mit einem zweiten Arzt die merkmale einer akuten Arsenikvergiftung. Bei der eingeleiteten Untersuchung ergab sich, daß die Erde an den Stellen, wo Frau Strache den Kaffee ausgebrochen hatte, stark arsenikhaltig war.
Der Verdacht lenkte sich sofort auf die Frau Pfeiffer, die alsbald in Haft genommen wurde, die aber von Anfang an jede Schuld mit Entschiedenheit in Abrede stellte. Sie und ihr Ehemann suchten es zunächst so darzustellen, als habe die Strache selbst Arsenik eingenommen. Dies erscheint aber nach allen näheren Umständen gänzlich ausgeschlossen. Die Anklage nimmt an, daß die Angeklagte, erbittert über die Verluste ihres Schwagers an Strache Rache üben wollte, daß sie aber schließlich durch die spitzen Redensarten der Frau Strache in Erregung gerathen sei und zu dem Mordanschlag gegen diese schritt.
Die Schwester der Angeklagten, Frau Mielenz, die während der ganzen Zeit im Zimmer anwesend war, will von dem Hineinschütten des Giftes nichts gesehen haben, sie gab aber bei ihren wiederholten Vernehmungen schließlich zu, daß ihre Schwester den Kaffee eingegossen habe, was diese bestritt, und daß sie auch viel „herumgewirthschaftet“ habe.
Während er schwebenden Untersuchung entstand in Letschin das Gerücht, daß in dem Hause des Vaters der Angeklagten, des Besitzers Zimmermann in Letschin, im April 1892 eine Verwandte, die zum Besuch dort war, die unverhehelichte Katharina Pfeiffer, unter merkwürdigen Umständen plötzlich verstorben sei. Die Leiche wurde Anfangs 1896 ausgegraben, und sie zeigte sich in einem stark mumifizirten Zustande. Der Gerichtschemiker Dr. Jeserich in Berlin stellte fest, daß die einzelnen Organe der Leiche erhebliche Spuren von Arsenik aufweisen. Die Verstorbene war nach dem Tode der ersten Frau des Pianofortefabrikanten bei diesem Wirthschafterin gewesen, bis dieser sich 1891 mit der Angeklagten verheirathete, Sie blieb zwar weiter im Hause, die beiden Frauen konnten sich aber nicht vertragen, das Verhältnis war von Anfang an ein sehr gespanntes.
Am 10. April 1892 sollte Katharina Pfeiffer mit den Pfeifferschen Kindern zu dem Vater der Angeklagten nach Letschin reisen. Am Abend zuvor stellte sich bei ihr plötzlich heftiges Übelbefinden ein. Auf Zureden der Angeklagten reiste sie jedoch ab, litt aber schon während der ganzen Fahrt an Kopfschmerzen und mußte sich in Letschin bald zu Bett legen. Nach einigen Tagen war sie todt. Das Begräbnis soll überraschend schnell stattgefunden haben, es hieß, der alte Zimmermann möge keine Leiche im hause haben. Die Angeklagte war, als sich der Zustand der Katharina Pfeiffer verschlimmerte, selbst nach Letschin gekommen und hat sich viel mit der Kranken bis zu ihrem Tode zu Schaffen gemacht. Besonders soll sie ihr stets ein Taschentuch vor den Mund gehalten haben und damit auch den Schaum abgewischt haben.
Die Anklage behauptet, daß die Angeklagte der Katharina Pfeiffer in kleinen Dosen Arsenik beigebracht habe. Das gericht hat aber von der Erhebung einer Anklage wegen dieses unaufgeklärten Falles Abstand genommen. So daß die Angeklagte, die durch den hiesigen Rechtsanwalt Dr. Loewenstein vertheidigt wird, sich zunächst nur wegen des Mordversuches zu verantworten haben wird.
Es ist aber eine ganze Reihe von Zeugen, darunter die nächsten Anverwandten geladen, die auch über den anderen Vorfall Bekundungen machen können, so daß möglicherweise die Verhandlung auch hierüber Aufklärung bringen kann. Der Prozeß dauert zwei Tage.